Editorial PRO 9/2023
So kann es nicht weitergehen
Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,
es ist ein imposantes Bild gewesen, eine beeindruckende Atmosphäre: Gut 800 Vertragsärzte und -psychotherapeuten, darunter natürlich auch Vertreter aus Sachsen-Anhalt, haben am 18. August in Berlin gemeinsam ein Zeichen gesetzt: So kann es nicht weitergehen!
Mit einem einstimmigen Votum ist ein Forderungskatalog an die Politik verabschiedet worden. Die Praxen fordern:
▶ Eine tragfähige Finanzierung
▶ Die Abschaffung der Budgets
▶ Die zügige Ambulantisierung
▶ Eine sinnvolle Digitalisierung
▶ Mehr Weiterbildung in Praxen
▶ Weniger Bürokratie
▶ Keine Regresse
Je nachdem, wie die Politik im Allgemeinen und Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Speziellen darauf reagieren, werden die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit den Berufsverbänden über weitere Protestszenarien diskutieren. Diese Krisensitzung war erst der Auftakt, das ist anzunehmen. Wir lassen uns gern eines Besseren belehren. Aber wir lassen nicht zu, dass unsere Forderungen ignoriert und im Aktenstapel abgelegt werden.
Warum? Weil die Vertragsärzte und -psychotherapeuten schon lange genug auf nette Worte der Politik vertraut haben. Leere Versprechen, die nicht in die Tat umgesetzt worden sind.
Wie lange noch sollen Sie …
… steigende Kosten für Praxen, Personal und Investitionen hinnehmen, ohne Inflationsausgleich und Steigerungen wie in anderen Branchen üblich?
… Leistungen vollumfänglich erbringen, diese aber nur teilweise vergütet bekommen?
… digitale Neuerungen anwenden, obwohl sie nicht reibungslos funktionieren und somit noch nicht reif für die Praxis sind?
… hinnehmen, dass die Weiterbildung nicht schwerpunktmäßig im ambulanten Bereich verortet und ausreichend finanziert ist, obgleich immer mehr Behandlungen hier erfolgen?
… immer mehr zusätzliche Zeit nach der Sprechstunde für das Ausfüllen von Formularen, Anträgen und Stellungnahmen investieren?
… Regresse befürchten müssen, nur, weil Sie ein Medikament verschrieben haben, das aus Ihrer Sicht für den Patienten das Beste ist?
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben genug bewiesen, dass Ihr Geduldsfaden lang und fest ist. So hatte Sachsen-Anhalt 2022 mit einem Durchschnittsalter von 47,9 Jahren die bundesweit älteste Bevölkerung und damit einhergehend auch eine hohe Zahl an multimorbiden Patienten, die Sie seit Jahren mit immer weniger zur Verfügung stehender Arztzeit behandeln. Sie stellen mit Ihrem Engagement die wohnortnahe haus- und fachärztliche Versorgung sicher.
Zum Beispiel in der Corona-Pandemie, als Sie unter nicht immer einfachen Bedingungen und gefühlt täglich neuen Regelungen getestet, behandelt und geimpft haben. Sie haben in der Krise einen wichtigen Beitrag geleistet, von jetzt auf gleich.
Oder wenn Ihr Kollege in der Umgebung in den Ruhestand geht, keinen Nachfolger findet und Sie deshalb seine Patienten mit aufnehmen, damit diese medizinisch versorgt sind.
Und neben Ihrer eigentlichen täglichen Arbeit, dem Untersuchen und Behandeln Ihrer Patienten, sind Sie noch Kosten-Jongleure, digitales Testlabor, Rabatt-Geber gegenüber den Kassen…
Für Sie ist es eine Selbstverständlichkeit, Ihren Patienten eine bestmögliche Betreuung zukommen zu lassen – ohne dass diese mitbekommen, was Sie noch alles zu händeln haben. Immerhin sind Sie Arzt beziehungsweise Psychotherapeut geworden, weil Sie Menschen helfen, ihre Beschwerden lindern und heilen wollen. Sie haben einen Beruf, der tagtäglich herausfordernd und erfüllend ist. Ich selbst könnte mir keinen schöneren Beruf vorstellen – trotz aller Widrigkeiten.
Für die Politik sollte es deshalb auch eine Selbstverständlichkeit sein, dies angemessen zu honorieren – und auf die Forderungen der Praxen einzugehen.
Dafür werden wir als KVSA uns gemeinsam mit den anderen Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung weiterhin einsetzen. Versprochen!
Ihr Jörg Böhme