Editorial PRO 3/2023
Ansätze, die nicht zu Ende gedacht sind
Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,
es mangelt an Ärzten und damit an ärztlicher Arbeitszeit. Es wird immer schwieriger, Praxen nachzubesetzen und frischausgebildete Ärzte im Land zu halten oder in das Land zu holen, vor allem in den ländlichen Raum. In dieser Ausgangssituation wirken die Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung ziemlich absurd.
Sicherlich, die Notfall- und Akutversorgung in Deutschland muss auf den Prüfstand. Aber doch bitte mit Weitblick und aus allen Perspektiven betrachtet unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen. Momentan entsteht der Eindruck, dass die Notfall- und Akutversorgung von Patienten im Krankenhaus durch ambulant tätige Haus- und Fachärzte entlastet werden soll. Der stationäre Bereich soll für die Zukunft besser gerüstet werden – die Opfer dafür muss der ambulante Bereich bringen.
In Integrierten Notfallzentren – kurz INZ – sollen, so eine Empfehlung, Notdienstpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung wochentags von 14 bis 22 Uhr, an den Wochenenden und Feiertagen von 9 bis 21 Uhr tätig sein. Wie, bitteschön, soll das gehen, wo sollen die Ressourcen dafür herkommen? Schon jetzt sind die Vertragsärzte und Psychotherapeuten an der Belastungsgrenze. Schon jetzt behandeln die ambulant tätigen Haus- und Fachärzte in Sachsen-Anhalt mehr Patienten als im Bundesdurchschnitt. Und es werden in absehbarer Zeit nicht weniger werden. Sollen die eigenen Patienten hintenan stehen, nur um die Zeiten im INZ abzusichern? Patienten, die bei ihrem Haus- oder Facharzt deshalb länger auf einen Termin warten müssen, kommen dann vielleicht lieber ins INZ. Ob der angebliche Notfall dann auch immer ein Notfall ist oder ob nur dem Angebot gefolgt wird? Es fehlt an Aufklärung, damit der Patient leichter erkennt, in welcher Versorgungsebene die Behandlung
seiner Beschwerden erfolgen kann. Der Gesetzgeber muss hier den Patienten mit in die Verantwortung nehmen, zum Beispiel über eine Selbstbeteiligung, wenn offensichtlich ist, dass es sich um
keinen Notfall handelt.
Ein Nachjustieren muss es auch bei der Entbudgetierung für die Kinder- und Jugendärzte, die laut Bundesminister Lauterbach in Kürze umgesetzt wird, geben. Momentan ist es nämlich eher nur Augenwischerei. Die Nachzahlungen für die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung sollen wohl in jedem Quartal mit erheblichem Aufwand ermittelt werden. Zusätzliche Bürokratie, die nicht sein müsste, wenn die einfache und bewährte Bereinigungslösung zum Einsatz käme. Erst dann kann auch von einer wirklichen Entbudgetierung gesprochen werden. Die Entbudgetierung der Kinderärzte
muss der Einstieg in die Entbudgetierung aller Haus- und Fachärzte sein.
Und auch in Sachen Digitalisierung lässt der Durchbruch, der den Praxen Mehrwert und nicht nur Mehrarbeit bringt, auf sich warten. Das zeigt die aktuelle PraxisBarometer-Befragung, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung in Auftrag gegeben hatte. Die Vertragsärzte und Psychotherapeuten sehen bisher nur im elektronischen Arztbrief Vorteile und nutzen ihn verstärkt. Doch auch diese digitale Neuerung funktioniert nicht reibungslos. Ein eArztbrief aus den stationären Einrichtungen ist eine Seltenheit. Und immer wieder beklagen Praxen technische Hürden beim Empfang und Versand und einen insgesamt hohen zeitlichen Aufwand. Diese Probleme variieren zwischen den Praxisverwaltungssystemen. Die Praxen wollen digitalisieren, ohne Frage. Aber Anwendungen müssen funktionieren und Entlastung im Praxisalltag bringen – und zwar von Anfang an.
Ihr Jörg Böhme